Freitag, 10. April 2015

TTIP-Brief an Bundestags-Abgeordnete


Sehr geehrter Herr/Frau Bundestagsabgeordnete (Namen einsetzen),

aus großer Sorge über das geplante transatlantische Freihandelsabkommen schreibe ich Ihnen. TTIP ist eine sehr ernste Bedrohung für unsere Demokratie, weil es Sie als Volksvertreter in der Ausübung Ihres Mandats erheblich einschränken wird.

Das Abkommen wird voraussichtlich viele Bereiche unseres täglichen Lebens betreffen, zum Beispiel Lebensmittel, Landwirtschaft, Tierschutz, Chemikalien und Arbeitnehmerrechte. Vieles liegt dort im Argen. Doch mit dem Freihandelsabkommen in der derzeit geplanten Form werden Sie unsere gegenwärtigen Standards kaum mehr verbessern können. Stattdessen droht TTIP die Standards auf unzureichendem Niveau festzusetzen. Das Problem: Die EU (und auch die USA) können diese dann nur noch im Einvernehmen ändern. Gesetzesänderungen sind nur noch möglich, wenn sie das Freihandelsabkommen nicht gefährden, sonst drohen Milliardenklagen.

Wenn die EU die längst überfällige - und im Koalitionsvertrag vereinbarte - erweiterte Gentechnik-Kennzeichnung von tierischen Lebensmitteln, wie Milch, Eier oder Fleisch einführen will, und diese den TTIP-Verpflichtungen widerspricht, ist das nur mit dem Einverständnis der USA möglich. Die Gesetzgebung, der Kern der Demokratie, wird damit abhängig von der Zustimmung eines Handelspartners! (Gute Nacht EU! Amerikanisches Gen-Food rollt bald unaufhaltbar über den Atlantik.)

Fazit:

Der Gesetzgebungsspielraum der nationalen Abgeordneten, also Ihr politischer Handlungs-Spielraum, wird weiter beschränkt. Sie dürfen nur noch so weit gehen, wie TTIP reicht. Nationale Initiativen für EU-Regelungen müssen noch eine zusätzliche Hürde überwinden, nicht nur die europäische.

Wie ist das möglich? TTIP ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Als solcher hat er Vorrang sowohl vor europäischen als auch vor deutschen Gesetzen. Verstößt ein zukünftiges Gesetz, auf deutscher oder auf EU-Ebene, gegen die Bestimmungen von TTIP, gilt es automatisch als rechtswidrig.   (Das scheinen leider die meisten deutschen Volksvertreter entweder nicht zu wissen oder einfach zu übersehen.)

Gleichermaßen wird Ihr Mandat auf der nationalen Ebene durch TTIP begrenzt. Wollen Sie und Ihre Kollegen im Deutschen Bundestag zum Beispiel den Tierschutz in der Landwirtschaft stärken, muss das entsprechende Gesetz den TTIP-Bestimmungen entsprechen – andernfalls darf es nicht beschlossen werden.

Eine weitere Einschränkung der gesetzgeberischen Spielräume der Parlamente bedeuten die privaten Schiedsgerichte. Konzerne können damit Gesetze zum Schutz von Mensch und Umwelt verhindern und Schadensersatzforderungen geltend machen für "voraussichtliche, anzunehmende" Gewinne.

Dies zeigt sich bereits heute in den Bereichen, in denen Schiedsklagen schon möglich sind: Der schwedische Stromkonzern Vattenfall hat zum Beispiel in Hamburg eine Lockerung von Umweltauflagen für ein Kohlekraftwerk durchgesetzt, und er verklagt die Bundesregierung auf 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz für den Atomausstieg. Die bei TTIP zusätzlich erwogenen Schiedsgerichte würden in die Budgethoheit des Parlamentes eingreifen und damit die Demokratie und Ihren Einfluss als Volksvertreter schwächen.

Ich persönlich betrachte dies als die größte Bedrohung der Demokratie, der sich Deutschland seit 1945 je stellen musste.

Ich möchte gerne von Ihnen wissen: Sind Sie sich bewusst, wie stark TTIP Ihren Einfluss als Volksvertreter einschränkt? Sind Sie bereit, das zu akzeptieren? Oder lehnen Sie TTIP (in seiner derzeit geplanten Form) strikt ab, weil diese Einschränkungen der demokratischen Rechte in keinem Verhältnis zu den geringen erwarteten Vorteilen stehen?

Ich bin kein politisch Linker, sondern arbeite seit über drei Jahrzehnten als Unternehmensberater und Management-Trainer (für gut 100 bekannte Groß- und Mittelstands-Unternehmen). Ich bin für den Abbau von Handels-Hindernissen und für die Vereinheitlichung von internationalen Normen und für einen freien Handel. Aber ich fürchte ernsthaft die für jede Demokratie fatalen Konsequenzen der momentan verhandelten Abkommen TTIP, CETA und insbesondere TISA.

Ich bitte um Ihre Antwort.

Herzlichen Dank.

Diesen Brief habe ich den Bundestagsabgeordneten in meinem Wahlkreis geschrieben.

Vom SPD-Abgeordneten habe ich umgehend eine Antwort erhalten.
Vom CDU-Abgeordneten nicht. Ich weiß daher nicht, ob er ihn überhaupt gelesen hat, wenn ja, ob er ihn verstanden hat, wenn nochmals ja, ob er seine persönliche Meinung kundtun darf, wenn abermals ja, ob ihm die Sorgen und Interessen der Bürger, also seiner Wähler überhaupt interessieren.

Schreiben Sie Ihre Bedenken auch an Ihre Abgeordneten. Lassen Sie sich nicht den Sand von Wunschträumen von Merkel und Gabriel in die Augen streuen. Was einigen Großkonzernen nutzen mag, kann vielen Menschen in vielen Teilen der Welt auch sehr zum Nachteil gereichen, insbesondere in den jetzt schon ärmsten Ländern unserer Erde!

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